(Auszug)






Innovative Wohnbauaspekte


Zwei Artikel zu den Themen "Nachverdichtung" und "gestapelte Häuser"
Verfasserin: Nicole Opel







NZZ am Sonntag, Ressort Kultur, 2. Juni 2002, Nr.12, Seite 82

Wo Wohnen Spass macht

Schweizer sind entweder Mieter, oder sie ziehen aufs Land. Denn gut konzipierte und bezahlbare Wohnungen sind in Städten schwer zu finden. Drei Beispiele zeigen, wo es sie gibt. Von Anna Schindler

Zwischen Bodensee und Genfersee erscheint die urbanisierte Schweiz als Flickenteppich aus mehr oder minder gesichtslosen Wohnsiedlungen, zusammengewürfelten Industriezonen, Parks und verschieden grossen Zentren. Wie Inseln in einer Lagune ragen einzelne Bauwerke aus dem seichten Gewässer. Und dies sind nicht immer Fussballstadien. In Schweizer Städten entstehen auch gute Wohnsiedlungen, wie drei Beispiele aus Bern und Zürich zeigen.

Hugo Loetscher, der scharfsinnige Beobachter helvetischer Unarten, hat das Grundproblem des schweizerischen Wohnwesens vor Jahren schon in einen einzigen Begriff gefasst. «Der Waschküchenschlüssel» repräsentiert, was Wohnen in der Schweiz heisst: Die Schweizer sind zu rund siebzig Prozent Mieter - aber sie träumen davon, Hauseigentümer zu sein. Werden in Amerika Häuser wie Autos gehandelt oder stocken in Italien die Söhne die selbst gemauerten Eigenheime ihrer Väter einfach um ein Geschoss auf, geraten in der Schweiz sogar Juristen über Verträgen zu Stockwerkeigentum ins Schwitzen - obschon das entsprechende Gesetz über die besondere Form des Mieteigentums bereits im Zivilgesetzbuch von 1965 neu definiert wurde.

In keinem anderen europäischen Land wohnen mehr Menschen in Wänden, die ihnen nicht gehören. Dabei haben sich zwischen Romanshorn und Genf zahlreiche Familien den Wunsch nach dem Eigenheim in Form eines katalogisierten Backsteintraums mit Schwedenofen, Sprossenfenstern, Giebeldach und halbrundem Ausguck über der Glaspergola vor der Haustüre verwirklicht. Nicht alle aber sind freiwillig an die Peripherie gezogen. Viele würden in den Städten bleiben, wenn sie die passende Wohnung fänden. Und sei es in Miete.

Eine Marktlücke

Diese gibt es: geräumig, zentral gelegen und zu passablem Preis - allerdings etwa so selten wie einen freien Parkplatz. Einer, der sich tatkräftig um günstigen Wohnungsbau in der Stadt bemüht, ist der 69-jährige Bauingenieur Leopold Bachmann. Der Unternehmer, Grossinvestor und Hausbesitzer in Personalunion mit Wohnsitz in Rüschlikon und Monaco ist in der Zürcher Immobilienszene kein Unbekannter. Bachmann hat in vierzig Jahren in und um die Limmatstadt über tausend Wohnungen gebaut, die Menschen mit mittlerem Einkommen gefallen sollen.

Was es dazu brauche, wisse er genau, erzählen die Zürcher Architekten Jan Cerv und Frantisek Wachtl, die auf dem Micafil-Areal in Altstetten soeben das zweite Grossprojekt für Bachmann fertiggestellt haben: Die Wohnungen verfügen über eine geräumige offene Küche, ein Wohn-Ess-Zimmer von 45 Quadratmetern, eine separate Dusche, haben 2,7 Meter Raumhöhe, und es gibt auch grosszügig bemessene private Aussenräume. «Bachmann baut Sozialwohnungen mit Luxuselementen», sagt Frantisek Wachtl. Und dies erst noch zu vernünftigen Mietpreisen: Eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung kostet auf dem Micafil-Areal 1475 Franken, fünfeinhalb Zimmer kommen auf monatlich 1895 Franken oder mehr.

Der gewiefte Unternehmer hat eine Marktlücke entdeckt: Bachmann kauft grosse Stadtbrachen mit bestehenden Projekten oder Gestaltungsplänen, für die sich kein Investor findet. Er übernimmt anfallende Altlasten, lässt das Projekt von bekannten Architekten ausarbeiten und zieht die Bauten in Rekordzeit hoch. Dank guten Beziehungen zu Unternehmern und Handwerkern, die immer wieder dieselben Küchen, Bäder oder Böden in Grossauflagen liefern und installieren dürfen, kann er seine Wohnungen billig ausrüsten. Mit der kurzen Bauzeit hält er die Baukreditzinsen tief - beides wirkt sich direkt in niedrigen Preisen aus. «Bachmanns Ziel ist, dass seine Mieten zwanzig Prozent unter denjenigen der Wohngenossenschaften liegen», sagt Jan Cerv. Zudem habe der gelernte Bauingenieur ursprünglich die meisten Pläne selber gezeichnet. Nachdem allerdings die gestalterische Qualität seiner ersten Grossüberbauung Aubrugg in Schwamendingen kritisiert wurde, setzt der Grossinvestor auf professionelle Architektur: Das Röntgenareal im bewegten Zürcher Kreis 5 ist dank des Überbauungsplans von Isa Stürm und Urs Wolf zum luftigen, ansprechenden Wohnquartier für 1200 Menschen geworden. Und auf dem ehemaligen Micafil-Areal haben Jan Cerv und Frantisek Wachtl sieben schnittige, pastellfarbene Riegel gebaut.

Dabei ist die städtebauliche Situation der ehemaligen Abfalldeponie alles andere als ideal: Eingeklemmt zwischen der stark befahrenen Badenerstrasse, der S-Bahn und einem Güterumschlagplatz für Lastwagen bot das Grundstück nur wenig gestalterische Möglichkeiten. Die ursprünglichen Besitzer ABB, SBB und Generalunternehmer Karl Steiner hatten zwar Mitte der neunziger Jahre einen Wettbewerb durchgeführt, aus dem das Zürcher Büro Zach + Zünd siegreich hervorgegangen war, nachher aber das Interesse an einer Investition von rund hundert Millionen Franken verloren.

Cerv + Wachtl orientierten sich am existierenden Gestaltungsplan und bauten eine Blockrandsiedlung, die gegen den Güterbahnhof geschlossen ist und auf ihrer Westseite die grossräumige Struktur des benachbarten ABB-Geländes aufnimmt. Dank der vehementen Mitsprache der Stadt sind dabei vielfältige Wohnungstypen und ungewöhnlich variable Aussenräume entstanden. So laufen etwa grosszügige Laubengänge bei drei Blöcken über die ganze Fassade und verleihen auch kleinen Zimmern Qualität. Einzig die Details im Innenausbau lassen, wie auch auf dem Röntgenareal, zu wünschen übrig - nicht zuletzt, weil sich die städtische Einflussnahme auf die Hülle beschränkte. «Hinter den schön verglasten Hauseingängen beginnt das billigste Treppengeländer aus dem Thurgau», beschreibt Jan Cerv die Situation. Das Bautempo und die tiefen Preise forderten ihren Tribut: So gestaltete eine Gartenbaufirma statt eines Landschaftsarchitekten die Umgebung. Die Mieter kümmert das allerdings wenig. Die Warteliste für die 247 Wohnungen umfasste schon beim Einzug der ersten Familien 280 Namen.

Miete nach Mass

«Wohnen, Arbeit, Kunst und Kinder» heisst das Programm der Wohnsiedlung «Vordere Lorraine» (Volo) in Bern, die seit dem vergangenen Oktober von 26 Parteien aufgeschlossener Stadtfreaks bewohnt wird: In den beiden langgestreckten Bauten hinter der Gewerbeschule (GIBB) von Frank Geiser leben Wohngemeinschaften auf vier Etagen, pendelt ein Kind zwischen den übereinander liegenden Wohnungen seines Vaters und seiner Mutter und versuchen es mehrere Generationen einer Familie unter dem gleichen Dach auszuhalten. Das Konzept der Überbauung war von Anfang an ungewöhnlich: 1997 veranstaltete die Stadt Bern auf dem Grundstück, das ursprünglich für den weiteren Ausbau der Gewerbeschule vorgesehen war, einen Wettbewerb unter gemischten Projektteams aus Architekten und Investoren. Gewünscht war eine innovative Wohnsiedlung mittleren Standards, die auch Büros, Werkstätten und Künstlerateliers integrierte und damit der kleinteiligen Struktur des ehemaligen Arbeiterquartiers Lorraine entsprach.

Die Bauten des Berner Projektteams Werkgruppe AGW und Reinhard + Partner tragen diesen Ansprüchen Rechnung: Die Architekten haben nicht nur die strenge U-Form der vorgesehenen Blockrandbebauung aufgebrochen, vier Einzelgebäude verschiedenen Massstabs zwischen die erhaltenen Altbauten gesetzt und damit einen ansprechenden Nutzungsmix von Wohnen und Arbeiten erzielt; sie haben darüber hinaus bei der Gestaltung des Wohnraums ein Pionierverfahren angewandt: die Miete nach Mass.

«Wir planten in allen Geschossen Bodenöffnungen in einem Grundraster von 7,2 Metern», erklärt Projektleiter Martin Zulauf: «Dadurch erhielten wir über mehrere Stockwerke hinweg frei kombinierbare Grundrisse.» Denn «grösstmögliche Individualität in der Mietwohnung» lautet das Motto der «Miete nach Mass»: Die Bewohner der Vorderen Lorraine bestimmten schon im Rohbau mit, wie viele Treppen ihre Wohnungen haben und wie sie innen aussehen sollten. Dazu stand ihnen ein Katalog von Materialien zur Auswahl - die Preisdifferenz zum Ausbauvorschlag der Architekten wurde auf die Miete umgerechnet. Diese beträgt nun ohne Nebenkosten 2550 Franken im Monat für eine 137 Quadratmeter grosse Attika-Maisonette mit Dachterrasse. Die durchschnittliche Jahresmiete der ganzen Siedlung liegt bei 210 Franken pro Quadratmeter. «Das sind zwanzig Prozent weniger als die aktuelle Marktmiete in Bern», sagt Zulauf stolz.

Kommunikativ

Dafür sei die intensive Partizipation der Bewohner weit aufwendiger gewesen als gedacht, gibt der Architekt zu. Und verschiedene Mieter bestätigen, dass sie den Preis für das komplizierte Verfahren mit Verspätungen auf dem Bau und unsorgfältig ausgeführten Details bezahlt haben. Trotzdem: «Die Identifikation mit unserer selber gestalteten Wohnung ist gross», sagt Volo-Bewohner Peter K. Erismann. Sie drückt sich im engagierten Zusammenleben der Mieter aus: Die Vordere Lorraine ist eine riesige Kommunikationsmaschine mit durchgehenden Terrassen und Laubengängen über die ganze Fassade, die sich in der Glasfront der Gewerbeschule spiegeln. Die Architekten haben die Aussenräume bewusst nicht abgetrennt: «Jeder soll seinen Balkon beleben, wie er will», sagt Zulauf. Bisher hat niemand eine Schranke gegen den Nachbarn eingezogen.

Zäune müssen auch die Bewohner der Wohnsiedlung Wehrenbachhalde in Zürich-Witikon keine um ihre Gärten ziehen: Die Zürcher Architekten Marianne Burkhalter und Christian Sumi haben zusammen mit den Landschaftsgestaltern Vogt & Partner für ein gelungenes Zusammenspiel von Innen- und Aussenräumen gesorgt. Drei zweistöckige rote Kuben, zehn Meter breit und zwanzig Meter lang, gruppieren sich im Garten der Fünfzigerjahre-Villa des Zürcher Architekten Albert Heinrich Steiner in grosszügigen Abständen voneinander längs und quer zum Hang. Wie riesige Periskope schauen rundum von dünnen Holzlatten eingefasste Loggias aus den drei Baukörpern auf den See hinaus, zu den Alpen oder in die Schrebergärten der Nachbarschaft; die Gärten sind von Hecken gesäumte Aussenzimmer im grossen Park.

Elegant und teuer

«Die ideale Beziehung zu schaffen zwischen privaten und öffentlichen Bereichen war äusserst knifflig», sagt Marianne Burkhalter. Die Überbauung der vier Erbschwestern musste der wundervollen Hanglage über dem Zürichsee gerecht werden: Die Anlage durfte den Blick auf die Stadt nicht verstellen, die Bewohner sollten den Reiz der Aussicht auskosten können. Burkhalter + Sumi fanden ihre Lösung in Italien: Sie verstehen die drei Bauten als zeitgemässe Palazzini, Stadtvillen eines Typs, wie sie in Rom seit den dreissiger Jahren für das vermögende Bürgertum entstanden sind und wie sie Alfred Roth und Marcel Breuer im Zürcher Doldertal konzipiert hatten.

Drei elegante Solitäre im dunkelroten Holzkleid bergen insgesamt zehn Wohnungen unterschiedlichen Zuschnitts. Allen gemeinsam sind ein überhohes Erdgeschoss mit grossen Öffnungen zum Tal hin, vorgehängte Loggias in den oberen Geschossen und der Zugang über eine Aussentreppe. Jede Wohnung hat ihre individuelle Verbindung von Innen- und Aussenraum: Die horizontalen, über Eck laufenden Fensterbänder holen immer neue Ausschnitte der Albisbergkette in den Raum, die quadratischen Sucher der Balkonzimmer schneiden dagegen eigenwillige Stücke aus der Landschaft aus.

Die Wehrenbachhalde ist eine stimmige, sorgfältige Form des gehobenen Wohnungsbaus und der Beweis, dass Villen durchaus nicht immer Einfamilienhäuser sein müssen. Allerdings kosten die Wohnungen eineinhalb bis zwei Millionen Franken. Viele Liebhaber guter Architektur müssen da wohl weiterhin Mieter bleiben.









Artikel vom 31.10.2001:pdf-file, 78 kb

Keine Wohnung wie die Andere





Der Bund


Publikations-Datum: 04.04.2000
Seite: 25
Zeitungs-Nummer: 80

Der Bund, Stadt Bern

Jetzt sind die Mieter am Zug

Vordere Lorraine / Die Bauarbeiten kommen voran. Jetzt tritt die Überbauung "Volo 1" zwischen Lorrainestrasse, Jurastrasse und Randweg in eine neue Phase: Mieter sind gesucht, die selber bestimmen wollen, wie ihre Wohnung dereinst aussehen soll.

mmü. Vor einigen Monaten sind in der Vorderen Lorraine die Baumaschinen aufgefahren. An der Ecke Lorrainestrasse/Randweg, wo früher der Entsorgungshof des Lorrainequartiers lag, öffnet sich bereits eine recht ansehnliche Baugrube. Noch bevor die Grundmauern fertig sind, tritt die Überbauung im Geviert zwischen Lorrainestrasse, Randweg und Jurastrasse nun in eine entscheidende Phase. Unter dem neuen Name "Volo 1" treten Trägerschaft und Aktionäre des Projekts nun an die Öffentlichkeit und begeben sich auf die Suche nach künftigen Mieterinnen und Mietern der Wohnungen und Ateliers.

Entscheidend für das künftige Gesicht der Überbauung ist dieser Schritt darum, weil "Volo 1" in seinem Innern letzlich aussehen wird. Die Gebäude werden nämlich in Rohbaumiete bzw. in Miete auf Mass an die Interessentinnen und Interessenten abgegeben. "Die Wohnvorstellungen sind individuell, und sie verändern sich mit der Lebenssituation der Bewohnerinnen und Bewohner." So umschreibt die Bauherrschaft die Philosophie, die hinter dem Vorgehen steckt. Konkret heisst dies, dass die Mieterinnen und Mieter einerseits die Grösse und anderseits die Grundrisseinteilung der Wohnungen selber wählen können. Fest vorgegeben sind die Konstruktion, die Gebädehülle und die Heizung

Keine Luxuswohnungen

Den Ausbau ihrer Wohnungen können die künftigen Miterinnen und Mieter entweder selber bezahlen oder durch die Vermieterin realisieren lassen. Bewusst wird beim Ausbaustandard allerdings eine obere Grenze gesetzt. Allzu teure Luxuswohnungen sind unerwünscht, weil sie nach dem Auszug der Erstmieter nur schwer weiter zu vermieten wären.

Hauptaktionäre der Überbauung in der Voderen Lorraine sind die beiden alternativen Pensionskassen Gepabu (Gemeinsame Personalvorsorgkasse alternativer Bernischer Unternehmungen) und PUK ( Gemeinschaftsstiftung Pensionkasse für Unternehmen, Künstler und Freischaffende) sowie die Firmen Reinhard+Partner Planer und Architekten und die Werkgruppe AGW. Projektträgerin ist die WOK Lorraine AG.

Dass die Bauherrschaft die Wohnungen nicht im Stockwerkeigentum abgeben möchte, hängt damit zusammen, dass die Pensionskassen die Überbauung als "sinvolles und langfristiges" Investitionsobjekt behalten wollen.

Potenzielle Mieterinnen und Mieter, die sich für die Wohnungen und Ateliers interessieren, können sich jetzt melden. Im Juni soll die erste Versammlung der Interessierten stattfinden. Voraussichtlicher Bezugstermin für den ersten Teil der Überbauung ist der Juli nächsten Jahres.



Publikations-Datum: 22.06.2000
Seite: 27
Zeitungs-Nummer: 144

Der Bund, Stadt Bern

Von Interessenten überrannt

Vordere Lorraine / Riesiger Ansturm auf Wohnraum: Das Interesse an der Ueberbauung "Volo 1" ist so gross, dass die Wohnungen dreifach vermietet werden könnten.

dab. Dreimal mehr Wohnraum wäre in der Ueberbauung "Volo 1" in der vorderen Lorraine gefragt, als überhaupt zur Verfügung steht. Der Grund dafür: Die Bauherrschaft bietet den Mieterinnen und Mietern so viel Gestaltungsspielraum wie möglich. Sie bestimmen den Innenausbau der Neubauten und ihrer Wohnungen. Fix sind nur Konstruktion, Gebäudehülle und Heizkörper (vgl. "Bund" vom 4. April).

Obwohl die Trägerin des Projekts, die WOK Lorraine AG, nach Angaben von Projektleiter Martin Zulauf für die Wohnungen kaum geworben hat, hätten sich seit April weit mehr interessierte Personen dafür gemeldet, als es in den Neubauten an der Lorrainestrasse 15 und am Juraweg 1 überhaupt Platz hat. Das Interesse an den verschiedenen Wohnlagen sei indes unterschiedlich gross. Und bis auf zwei Personen wollen alle, nach dem Prinzip der "Miete nach Mass" oder der "Rohbaumiete", ihren Wohnraum selber gestalten.

Zulauf deutet den Ansturm als Signal dafür, dass auch anderswo in Bern "intelligente Wohnformen" gefragt wären - vorab in der Länggasse und im Breitenrain.

Und weil die Nachfrage danach so gross ist, hat die Projektleitung beschlossen, "die ganze Fläche nach diesen Modellen zu vermieten und den Wohnanteil im Ganzen noch zu erhöhen". Die Arbeitsfläche in den unteren Etagen, welche für Ateliers vorgesehen war, wird reduziert, präzisiert Zulauf. Das Interesse an Letzteren sei bis anhin weniger gross, sagt er.

Aerzte, Familien, Studierende

Die Projektleitung kann damit zufrieden sein, denn für sie ist ein hoher Wohnanteil zentral, wie sie schreibt. Zudem möchte sie eine gute Durchmischung. Zurzeit befänden sich sowohl "Aerzte vor dem Ruhestand als auch Studenten-WGs und Familien unter den Interessierten", sagt Zulauf. Ausländer seien jedoch untervertreten, weil "grosse Neubauwohnungen relativ teuer werden". Luxuswohnungen - das ist die einzige Bedingung an die Mieter betreffend Innenausbau - sollen aber nicht entstehen. Sie wären später kaum vermietbar. Bezogen werden die Häuser ab Juli 2001; Hauptinvestoren sind zwei alternative Pensionskassen, ein Planungsbüro und die Werkgruppe AGW.



Publikations-Datum: 01.12.2000
Seite: 30
Zeitungs-Nummer: 282

Der Bund, Stadt Bern

«Miete nach Mass» kommt an

Vordere Lorraine / Der Rohbau für 26 Wohnungen, Ateliers und Gewerberäume an der Jurastrasse 1/Lorrainestrasse 15 ist fast fertig. Jetzt ist die Bauherrschaft daran, mit den zukünftigen Bewohnern Mietverträge abzuschliessen. Einzugstermin: August 2001.

ruk. Das Projekt «Volo 1» im Geviert zwischen Lorrainestrasse, Jurastrasse und Randweg kommt weiterhin plangemäss voran. Noch bevor der Rohbau für die beiden mehrgeschossigen Häuser an der Jurastrasse 1 und Lorrainestrasse 15 abgeschlossen ist, vermeldet die Bauherrschaft: «Bereits sind alle Wohnflächen reserviert.» 26 Mietwohnungen von unterschiedlicher Grösse werden ab Februar 2001 in die Gebäude eingepasst. Den grössten Anteil beanspruchen Familien mit insgesamt 16 Kindern im Vorschul- oder Schulalter: Zehn solche Wohneinheiten werde es geben, sagte Bauherrschaftsvertreter Martin Zulauf auf Anfrage. Vier weitere Wohnungen werden von Wohngemeinschaften oder so genannten Mehrgenerationenhaushalten in Anspruch genommen; acht Wohnungen sind den Ein- und Zweipersonenhaushalten vorbehalten. Der Durchmischungsfaktor sei «sehr gut, obwohl leider keine Leute über 50 bei uns einziehen», sagt Zulauf.

Billige Wohnungen werden in der Überbauung «Volo 1» nicht angeboten: Der Quadratmeterpreis bewegt sich um die 200 Franken pro Jahr. Eine komplett ausgestattete 5-Zimmer-Wohnung kostet monatlich rund 2500 Franken.

Lieber Mass- als Rohbaumiete

Die Aktionäre von «Volo 1» - die beiden Pensionskassen Gepabu und PUK sowie Reinhard + Partner und die Werkgruppe AGW - sind bei der Vermietung unkonventionelle Wege gegangen: Unter dem Motto «Miete nach Mass» wurden Leute gesucht, die bei der Ausgestaltung ihrer zukünftigen Wohnung mitbestimmen wollten. Namentlich sollten sie bei der Farbgebung, den Böden, der Platzierung von Küche und Bad sowie der Grundrisseinteilung (Zimmergrösse; 1-Stockwerk- oder Mehretagenwohnung) das letzte Wort haben. Einzige Einschränkung: keine luxuriösen Ausstattungen, da dies die Suche nach Nachmietern in der Regel erschwert.

Der Aufruf stiess auf fruchtbaren Boden: Etwa doppelt so viele Parteien, wie Wohnungen zur Verfügung standen, meldeten sich im letzten Sommer. Bei der Auslese waren gemäss Bauherrschaft die Faktoren Quartierbezug, Familien und Durchmischung ausschlaggebend.

Wenig Anklang fand das zweite Vermietungsmodell, die Rohbaumiete. Laut Zulauf gestalten nur «zwei oder drei Parteien» ihre Wohnungen von A bis Z. Das hänge damit zusammen, dass dieses Modell im Endeffekt meistens teurer zu stehen komme als die «Miete nach Mass».

Mieter verwalten mit

Momentan ist die Bauherrschaft daran, mit den zukünftigen Bewohnern Mietverträge auszuhandeln. Auch diese folgen nicht herkömmlichen Mustern. Vorgesehen ist eine so genannte Mieter-Selbstverwaltung, die auf Musterverträgen der Stiftung Wohnqualität basiert. Die Mieter sind diesem Vertragswerk zufolge berechtigt, den Hauswart selber zu bestimmen oder die Gartenbenutzung festzulegen; sie haben auch ein gewisses Mitbestimmungsrecht bei Mieterwechseln und geniessen als Mitglied des Hausvereins ein Vorkaufsrecht.



Publikations-Datum: 31.10.2001
Zeitungs-Nummer: 254
Autor: Ruedi Kunz

Der Bund, Stadt Bern

In Volo 1 sind viele Wohnformen möglich

Halbzeit für die Überbauung Vordere Lorraine (Volo 1): Die beiden Neubauten sind bis auf das Café und den Lebensmittelladen fertig. In den 25 Wohnungen sind die verschiedensten Formen des Zusammenlebens möglich, da die Mieter bei der Grösse und Gestaltung ihres Heims ein Mitspracherecht hatten.

Jahrelang galt die Lorraine als eigentliches Schmuddelquartier, wo vor allem Ausländer, Randständige, Aussteiger, Aufmüpfige und Alternative lebten, sich ein Teil des gesellschaftlichen Lebens in politischen Reizzonen wie der Genossenschaftsbeiz Brasserie und im Quartier-Hof (Q-Hof) abspielte und es nicht einmal einen Bancomaten gab.
In den 90er-Jahren hat sich das Gesicht des Quartiers Stück für Stück verändert. Die Gewerblich-Industrielle Berufsschule Bern zog neue Schulgebäude in die Höhe, im Q-Hof, am Dammweg und an verschiedenen anderen Orten packten engagierte Wohnbaugenossenschaften umfassende Sanierungen und Umbauten an, über ein halbes Dutzend neue Schnellimbissbuden schossen aus dem Boden.

25 Wohnungen, eine Bar

Der vorläufig letzte Puzzlestein in der rasanten Entwicklungsgeschichte ist die Überbauung Vordere Lorraine (Volo 1). Zwischen Lorrainestrasse und Randweg entsteht seit Herbst 1999 in mehreren Etappen eine Siedlung mit Wohnungen, Ateliers und Gewerberäumen.

In einer ersten Etappe sind an der Lorrainestrasse 15 und Jurastrasse 1 für 10,8 Millionen Franken zwei fünfstöckige Häuser mit 25 Wohnungen, 10 Ateliers, einer Cafébar und einem Lebensmittelladen erstellt worden. In einer weiteren Phase werden bis im Sommer 2004 drei bestehende Althäuser saniert. Es handelt sich dabei um die Liegenschaften Jurastrasse 4 und 5 sowie Lorrainestrasse 17. Dort sind nebst einer Kindertagesstätte 12 Wohnungen geplant.

Die neue Siedlung soll laut Architekt Martin Zulauf «städtebaulich, architektonisch, nutzungsmässig und sozial ins Lorrainequartier integriert werden».

Als Bauherrschaft tritt die WOK Lorraine AGauf. Sie hat 1997 einen Projektwettbewerb gewonnen, den die Stadt als Baurechtsgeberin initiiert hat . Finanziell abgesichert wird Volo 1 von zwei alternativen Pensionskassen.

Felix Wolffers, Generalsekretär in der städtischen Finanzdirektion, lobte gestern vor den Medien Volo 1: Die Siedlung biete grosse Wohnungen für den Mittelstand, werte das Quartier städtebaulich auf und führe zu einer neuen sozialen Durchmischung.

«Miete nach Mass»

Die Bauherrschaft ist bei der Vermietung eher unübliche Wege gegangen. Sie hat der Mieterschaft ein Mitspracherecht gegeben, was Wohnungsgrösse, Grundriss, Anordnung und Innenausbau angeht. Das Modell «Miete nach Mass», welches in stark abgeschwächter Form bei der Sanierung der städtischen Liegenschaften im Murifeld zur Anwendung gekommen ist, habe sich in der ersten Phase bewährt, sagte Martin Zulauf. «Es hat Leute angezogen, die ins Quartier passen, und wir haben eine Vielzahl von Wohnungstypen.» Vom Einpersonenhaushalt mit integriertem Atelier bis zur Gemeinschaftswohnung für 6 bis 8 Personen über vier Geschosse und die Zweigenerationen-Wohnung ist alles vertreten.

Die eigentliche Probe aufs Exempel steht dem Modell «Miete nach Mass» aber erst noch bevor. Die Mieterschaft hat sich in Hausvereinen zu organisieren, die für Hausordnung, Hauswartarbeiten und Gemeinschaftsräume zuständig sind.

1100 Franken für Wohnatelier

Die Neuwohnungen in Volo 1 liegen gemäss Bauherrschaft um 10 Prozent unter den marktüblichen Mietpreisen. Eine 2-Zimmer Wohnung kostet 950 Franken, eine 4-Zimmer-Wohnung 1650 Franken, eine 5-Zimmer-Wohnung 2550 Franken.

Andere Ansätze gelten für die vier Wohnateliers. Die zweigeschossigen Räume werden für 1100 Franken veranschlagt und sind ab Sommer 2002 für bildende Künstler reserviert. Die Holzmontagebauten ersetzen die Räume des «Kunstkanals», welche vor kurzem abgerissen wurden. Die Künstlerinnen und Künstler des «Kunstkanals» sind im Mai dieses Jahres grösstenteils in das ehemalige Gewerbeschulhaus Wylerringstrasse 7 gezogen, wo ihnen 11 Ateliers zur Verfügung stehen.


In der Fassade der Gewerblich-industriellen Berufsschule Bern spiegelt sich neues urbanes Leben: Die Ueberbauung Vordere Lorraine, welche 2004 fertiggestellt sein wird. (Michael Schneeberger)